Weniger Langzeitarbeitslose im Kreis

Weniger Langzeitarbeitslose im Kreis

Der lange Weg zurück in die Arbeit

Die Wirtschaft brummt, neue Jobs entstehen, noch nie waren so wenig Menschen in Deutschland ohne Arbeit. Auch in Minden-Lübbecke ist die Arbeitslosenquote im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Und dennoch ist die Chance für Langzeitarbeitslose auf einen Job weiterhin schwer.

Mit 8.920 Arbeitslosen lag die Arbeitslosenquote im Kreis im letzten Monat etwa 1,9 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im August mit 3.189 Personen sogar um 8,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Damit wurde der Vorjahreswert um 282 unterschritten. Diese Entwicklung gibt vielen Hoffnung endlich wieder am normalen Leben teilzunehmen. Doch obwohl dem Kreis 3180 offene Stellen gemeldet wurden, ist es für Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, weiterhin schwer eine Anstellung zu finden. Laut § 18 des Sozialgesetzbuches gelten diese Personen als langzeitarbeitslos und haben es damit schwer im Berufsleben wieder Fuß zu finden. Wie der Kreis Minden-Lübbecke berichtet, besteht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein höheres Risiko für den Eintritt von Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitleistungsbezug, wenn folgende Faktoren einzeln und im Besonderen kumuliert vorliegen:
– Fehlender Schulabschluss
– Fehlende Berufsausbildung
– Sprachliche Defizite
– Länger anhaltende gesundheitliche Beeinträchtigungen, unter anderem psychosomatische oder psychische Erkrankungen.

„Die Mitarbeiter des Amtes proArbeit – Jobcenter berücksichtigen in ihrer Beratungs- und Vermittlungsarbeit die individuelle Biographie der Grundsicherungsempfänger und entscheiden dann, möglichst gemeinsam mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person, welche Qualifizierungs- oder Vorbereitungsmaßnahme oder Stellenvorschläge angebracht sind“, erklärt Heidemarie Schönrock-Beckmann, Amtsleiterin des Amts proArbeit – Jobcenter Kreis Minden-Lübbecke.

„Die Mitarbeiter des Jobcenters berücksichtigen bei ihrer Beratungs- und Vermittlungsarbeit die individuelle Biographie der Grundsicherungsempfänger."  Heidemarie Schönrock-Beckmann, Amtsleiterin des Amts proArbeit – Jobcenter Kreis Minden-Lübbecke.

„Die Mitarbeiter des Jobcenters berücksichtigen bei ihrer Beratungs- und Vermittlungsarbeit die individuelle Biographie der Grundsicherungsempfänger.“
Heidemarie Schönrock-Beckmann, Amtsleiterin des Amts proArbeit – Jobcenter Kreis Minden-Lübbecke.


Doch woran liegt es, dass es trotz vieler offener Stellen und einem hohen Bedarf nach Fachkräften, weiterhin so viele Menschen lange Zeit arbeitslos sind? Stellen Firmen zu hohe Ansprüche an ihre Bewerber?

Eine eindeutige Antwort ist hier nicht zu finden. Laut einer Studie des Institutes für Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik der Agentur für Arbeit 20/2015 „können Arbeitslose nur in geringem Umfang vom positiven Beschäftigungstrend profitieren, insbesondere wenn ihre (berufliche) Qualifikation nicht zu den Bedarfen der Betriebe passt oder eine zu große Distanz zwischen dem Wohnort des Arbeitslosen und dem potentiellen Beschäftigungsort besteht“. Der Kreis weist weiterhin darauf hin, dass Menschen ohne Berufsausbildung häufig auf die Ausübung einfacher Tätigkeiten oder Anlerntätigkeiten angewiesen sind. Solche Beschäftigungsmöglichkeiten würden jedoch auf dem Arbeitsmarkt immer weniger angeboten und seien insgesamt rückläufig.

Im Zentrallager Minden erhalten Langzeitarbeitslose berufliche und persönliche Unterstützung.

Im Zentrallager Minden erhalten Langzeitarbeitslose berufliche und persönliche Unterstützung.

Schicksalsschläge werfen aus dem Leben

Oft kursieren Vorurteile gegen Menschen, die lange Zeit keine Arbeit finden. Sie werden als faul und antriebslos bezeichnet, dafür getadelt nichts zum gesellschaftlichen Leben beizutragen. Doch blickt man hinter die Fassade, stecken oft auch Schicksalsschläge und familiäre Entwicklungen dahinter. So auch bei dem Mindener Herrn Müller (Name geändert), dem es nach dem Tod seines kleinen Sohnes den Boden unter den Füßen entriss. Der damals 22-jährige hatte eine feste Arbeitsstelle bei der Bundeswehr und hatte zuvor Steinsetzer gelernt. Eine Fachkraft also, die doch so dringend gesucht werden. „Nach dem Tod meines Sohnes habe ich angefangen Alkohol zu trinken, bin in die Sozialhilfe abgerutscht und musste sogar Sozialstunden leisten“, erinnert er sich zurück. „Ich war ganz unten in der Gosse angekommen.“ Durch die Sozialstunden geriet der bereits seit sechs Jahren arbeitslose junge Mann in die Hände von Gerd Borchers, Geschäftsführer des Verein Zentrallager Minden-Lübbecke e.V.. Dort lernte er wieder eine feste Tagesstruktur kennen. „Das Wichtigste für die Integration von Langzeitarbeitslosen ist eine Tagesstruktur und die persönliche Begleitung der betroffenen Menschen. Sie brauchen Hilfestellung und ein offenes Ohr, Jemanden dem sie sich anvertrauen können“, erzählt Borchers aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Sozialarbeiter. Auch er bestätigt: Die Gründe für eine Langzeitarbeitslosigkeit sind völlig unterschiedlich. Da gibt es den einst erfolgreichen Volljuristen genauso wie den Hartz4-erprobten Jugendlichen, der nie etwas anderes kennengelernt hat, da andere Einflüsse fehlten. „Natürlich gibt es auch viele, die ein Alkohol- oder Drogenproblem haben, bei denen sich der Schuldenberg häuft oder die unter familiären Problemen leiden. Aber ein Musterbeispiel kann man hier nicht festlegen“, erklärt Borchers. Herr Müller hat es durch die Hilfe des Zentrallagers und Gerd Borchers geschafft. Er ist seit 15 Jahren trocken und seit sechs Jahren auf dem freien Arbeitsmarkt beschäftigt. Bald will er bei einer neuen Firma anfangen, dessen Standort näher an seinem jetzigen Wohnort ist. „Ich wurde gefordert und gefördert“, sagt er rückblickend und dafür sei er auch heute noch sehr dankbar.

Das Zentrallager arbeitet auch in enger Zusammenarbeit mit dem Jobcenter in Minden, an das sich Betroffene wenden können.