Die Altersarmut steigt

Die Altersarmut steigt

Immer mehr Rentner im Mühlenkreis beziehen Sozialhilfe

Millionen Rentnern in Deutschland winkt im Juli eine Rentenerhöhung. Im Westen steigen die Bezüge um 4,25 Prozent, im Osten gar um 5,95 Prozent. Zugleich rutschen jedoch immer mehr Senioren in die Sozialhilfe ab, weil sie nicht genug in die Rentenkasse eingezahlt haben. Die Altersarmut steigt – auch im Mühlenkreis.

Die Zahl der älteren und erwerbsgeminderten Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, ist im Kreis Minden-Lübbecke in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahresdurchschnitt 2016 bezogen 3.614 Personen im Mühlenkreis die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, 2012 waren es 3.043. Ein Zuwachs von 18,8 Prozent. Die Nettoausgaben des Kreises Minden-Lübbecke für diese Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches XII lagen 2015 bei rund 18,7 Millionen Euro. Eine Steigerung von 26,1 Prozent gegenüber 2012. Allerdings: Der Bund übernimmt heute 100 Prozent der Nettoausgaben. Vor vier Jahren musste der Kreis noch für 55 Prozent der Kosten selber aufkommen.

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Die Leistung zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches XII soll die sogenannte verschämte Armut im Alter bekämpfen. Können ältere Menschen über 64 mit ihrer gesetzlichen Rente ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten, können sie Grundsicherungsrente einfordern. Diese Sozialhilfe gilt auch für dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen über 18, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht länger als drei Stunden täglich arbeiten können. Seit dem 1. Januar 2016 beträgt der monatliche Regelsatz 404 Euro für Alleinstehende. Für Partner und Eheleute liegt er bei jeweils 364 Euro.

„Kein Ende in Sicht“

Anke Zedel arbeitet im Controlling des Sozialamts für den Kreis Minden-Lübbecke. Seit zwölf Jahren übt sie ihren Job aus. Seit zwölf Jahren beobachtet sie, wie die Fallzahlen steigen, es immer mehr arme, hilfebedürftige Menschen gibt. Ein Ende ist ihrer Meinung nach nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zahl sozialhilfebedürftiger Menschen werde in den nächsten Jahren noch stärker ansteigen als ohnehin schon. „Aufgrund des demografischen Wandels wird es künftig immer mehr Empfänger der Leistung zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geben. Die Gesellschaft wird immer älter und es gibt immer mehr Senioren. Das heißt: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Menschen ernähren“, sagt Zedel. „Viele Menschen kommen aus prekären Hartz-IV-Verhältnissen und landen mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres dann direkt im 4. Kapitel des SGB XII und beziehen Grundsicherung.“ Auch die Zahl der Behinderten nehme nach wie vor stetig zu, genau wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung.

„Lawine der Altersarmut“

Deutschlandweit hat sich die Zahl der älteren Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in elf Jahren praktisch verdoppelt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor einer „Lawine der Altersarmut“. Brauchten 2003 noch rund 258.000 Rentner diese Hilfe, waren es 2014 bereits etwa 512.000. Laut Verbandsschätzungen wird sich die Zahl bis 2025 noch einmal verdoppeln. Thomas Volkening, Geschäftsführer der Pari-Sozial in Minden, erklärt: „Neben der Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent muss die Altersgrundsicherung selbst so reformiert werden, dass die Leistungen wirklich vor Armut schützen. Es braucht zum Beispiel einen Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung für Langzeitarbeitslose. Zur Finanzierung könnten sehr hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften stärker besteuert werden. Wir müssen für mehr Verteilungsgerechtigkeit und weniger Ungleichheit in dieser Gesellschaft sorgen.“

„Der Bund ist gefordert“

Die Armut wächst. Besonders unter den Älteren. Sowohl in Deutschland wie auch im Kreis Minden-Lübbecke. Laut Anke Zedel sind die Kommunen machtlos, sie könnten der Entwicklung nur zuschauen. „Hier ist der Bund gefordert. Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut zum Beispiel können nur gesamtpolitisch betrachtet werden. Es müsste etwas grundsätzliches geändert werden, damit die Renten auskömmlich sind und zum Leben reichen“, sagt Zedel.